Wilhelm Reichermann

War Robert Johannes der vielbewunderte, allgemein beliebte Rezitator in ostpreußischem Dialekt der damaligen „Guten Gesellschaft“ in Königsberg, so gab es damals in Creuzburg einen anderen ostpreußischen Dialektdichter, der in natangischem Platt schrieb: Wilhelm Reichermann.

Er hat nicht Deutschland erobert wie Johannes-Lutkat, sein Ruhm blieb eher regional gebunden. Das lag sowohl an der Schwierigkeit des natangischen Plattdeutsch als auch daran, daß Reichermann auf einer bedeutend derberen Ebene schrieb als Johannes. Seine acht Bändchen „Plattdütsche Spoaßkes“ waren vielen Menschen nicht fein genug, um von ihnen anerkannt zu werden.

Der Literaturhistoriker freilich kannte Reichermanns Gedichte schon als eins der damals wenigen Erzeugnisse niederdeutscher Mundart in ostpreußischem Platt an, und der biedere Bürger in Creuzburg hatte seine Freude an der humorvollen derben Darstellung natangischer Verhältnisse.

So erlebten die „Spoaßkes“ – das erste Bändchen erschien 1891 – doch zahlreiche Auflagen und auch Gräfe und Unzer gab in Königsberg eine Auswahl heraus unter dem bezeichnenden Titel „Starker Toback“.

Wilhelm Reichermann war der Sohn eines Färbers, dessen Familie schon 150 Jahre in Creuzburg ansässig war. Er wurde am 26. Februar 1845 in der Stadt an der Keyster geboren, besuchte die Stadtschule, erlernte das Handwerk seines Vaters, ging auf Wanderschaft und durchstreifte die Schweiz, Österreich und Oberitalien. Nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1874 trat er an dessen Stelle, heiratete eine Creuzburgerin und erwarb 1880 die Stadtmühle. Er war in der Kommunalverwaltung als Stadtverordneter eifrig tätig und bekleidete über 20 Jahre das Amt des Stadtverordnetenvorstehers. Seine dankbare Vaterstadt setzte Reichermann 1925 – er starb 1920 in Königsberg (?) – einen Gedenkstein in dem von ihm so geliebten Keystertal

Aus: Silke Steinberg „Über die Zeit hinaus“ – Ostpreußens Beitrag zur abendländischen Kultur II -; Schriftenreihe der Staats- und Wissenscha